Untech Talk: Gitarrensounds finden 2


Heutzutage gibt es zwei grundsätzliche Methoden, E-Gitarren aufzunehmen: Entweder man macht sich die recht umständlich anmutende Mühe, ein Mikrofon auf einem Stativ (schraub, schraub, klemm, schraub…) vor dem Verstärker zu platzieren und den Sound durch eben diese minutiöse Mikrofonplatzierung (wie weit weg, wie nah dran, schräg oder gerade…) sowie durch das Drehen an diversen Knöpfen (an der Gitarre, am Verstärker, am Effektgerät usw.) von Hand zu erfummeln – oder man verzichtet auf Mikrofon und Verstärker, was technisch viel leichter und schneller geht, schließt ein Zauberwerkzeug an und wählt unter tausend und abertausend Möglichkeiten, den Sound mit einer Software im Computer zu „modulieren“ (bzw. macht dasselbe mit einem kleinen Extra-Kistchen, das ebenfalls tausende Einstellmöglichkeiten für den Sound bereithält: Zauberwerkzeug halt).

Es gibt inzwischen sehr gute Zauberwerkzeuge – die Sounds der besten kann ich für meinen Teil nicht wirklich ehrlich von einem „Originalsound“ unterscheiden. Trotzdem liegt mein altes Modulatorkistchen (das mir vor Jahren gute Dienste leistete: in den Anfängen) heute nur noch zur Zierde im Regal. Ich mache mir lieber die Mühe, ein Mikrofon vor dem Amp aufzustellen, es so rum oder so rum vor den Lautsprecher hinzudrehen, und so lange an den Verstärkerknöpfen und an der Gitarre selbst herumzufummeln, bis ein Sound entsteht, der mir gefällt: Wohlgemerkt kann man den dann, ist er einmal aufgenommen, nicht mehr groß verändern im Song. Stellt sich im Verlauf des Songmixens heraus, dass der so langwierig erschraubte Klang doch nicht so gut für das Lied ist, muss man die Aufnahme wiederholen, mit anderer Vor-Einstellung, und alles nochmal spielen. Uff! Selbst wenn es aber auf Anhieb klappt, dauert diese Methode gut und gern zehn mal länger als die technisch viel bequemere und komfortablere „Modulation“: bei der sich noch in jedem Nachhinein (wenn alles längst eingespielt ist) ratzfatz umschalten lässt von Ultrabrett bis megaclean und zurück… in unzähligen fließenden Variationen.

Puristen behaupten, keine Modulation klingt sooo gut wie das Original. Wie gesagt – dem kann ich nichtmal beipflichten. Ich wähle die alte, umständliche Methode – aber aus einem ganz andern Grund. Ich habe einen Verstärker und eine Gitarre und zwei Effektgeräte (einen Verzerrer und ein Wah-Wah) – die Soundmöglichkeiten dieser Hardware sind begrenzt und überschaubar. Genau darin jedoch liegt der Witz, der Dreh, die wahre Macht. Denn was mir die Modulation so verführerisch erspart, ist der Weg zum Sound. Der Weg aber hat sich als unverzichtbar, als alternativlos erwiesen. Wenn ich einen Klang mit Händen an Knöpfen erfummelt habe, dann IST es ein Klang: Ich weiß dann, warum es so klingt wie es klingt – ich habe mich langsam und allmählich darauf hin bewegt, habe es geschaffen, so wie man beim Kochen eine Prise von diesem oder jenem zusetzt. Und da macht man nicht plötzlich aus Würstchen, die noch nicht ganz so ideal schmecken, ein ganz anderes Mahl, z.B. ein Gemüsegericht. Da würzt man die Würstchen, bis sie so schmecken wie sie sollen. Auch wenn das länger dauert, als z.B. von Schaschlik auf Sushi umzuschalten und dann auf Suppe und dann doch wieder auf Steak. Der Weg des Schaffens ist letztlich kein beliebiger: Man kämpft sich durch eine bestimmte Landschaft, die sich nur allmählich verändert, und nie so rabiat, als wenn man sie plötzlich komplett wechselt.

Ich gewann das deutliche Gefühl: Erst, wenn man seinen Weg gegangen ist, steht man wirklich dort, wo man angekommen ist – man weiß, wo man war, wo man herkam, und wie man an den neuen Ort gelangte, ist eine Geschichte, die stark macht. Wer zaubermäßig abkürzt, sich „teleportiert“ oder „hinbeamt“ per Technik, hat keine Erfahrung gemacht, sondern sich um eine betrogen. Und ich glaube, dass man sowas, im musikalischen Fall, auch hört. Hört euch die neuen Songs der Singvøgel an: Jeder einzelne Klang ist seinen Weg gegangen, jeder Sound hat seinen spezifischen Dreck am Stecken. Es lebt. „Sitzt, passt, wackelt und hat Luft“, sagte man früher. Nichts ist beliebig. Alles Erfahrung. Und jede: Gold wert. Meine E-Git heißt Chica, mein Amp Bo (nach Bo Diddley;-). Der Verzerrer heißt „Schreihals“ und der Morley-Wah „Wacka-Wacka“. Ganz am Ende sind es aber immer und so wie so die Finger: die den Klang prägen. Die Finger, nicht die Knöpfe. Das ist mein Zauber. Und somit bin ich kein Zauberlehrling von Geräten, sondern ein Zauberlehrling erfingerter Musik. Hört, wie es klingt! Wenn ihr es nicht mögt – Schwamm drüber, dann hört halt was oder wen anderes. Aber wenn ihr es mögt, ist es mein Werk. Trifft mich direkt. Euch genauso. Auch auf den Saiten: schreibe ich immer nur Liebesbriefe. Von Herz zu Herz. Und deshalb lohnt sich die Mühe.


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2 Gedanken zu “Untech Talk: Gitarrensounds finden

  • Häher

    Wahr gesprochen. Es ist wie mit Kindern, die ihre Umgebung erkunden (möchten oder sollten): Fährt man sie mit dem Auto überall hin – lässt man sie, in deinen Worten, die Wege nicht selber zurücklegen – lernen sie die Welt nicht „richtig“ kennen, bekommen eine „Inselgeographie“ (da Schule, dort Supermarkt, hier zuhause, dort Freibad – und dazwischen Autofahrten…). Dabei sind es die Wege zwischen den Orten, die unsere Welt interessant machen.