Das fünfzehnte Sonett
(Karan)
Noch dieser stumpfe Bleistift ist viel stärker
als Schwerter, Bomben oder Sturmgewehre,
er sprengt die Ketten und den dunklen Kerker.
Es geht schon längst nicht mehr um Ruhm und Ehre
sondern um alles. Kunst bedeutet: Künden.
Das Überdauern unsrer Menschlichkeit
hängt davon ab, dass wir sie in uns finden.
Das Leben lebt. Die Freiheit wird befreit.
Gewalt mag uns vertreiben und vernichten,
verachten, unterjochen, schänden, richten,
uns foltern, knechten oder niederringen,
uns schließlich töten – doch sie wird nicht siegen.
Wo sie marschiert, da lernten wir das Fliegen,
denn ewig ist der Geist, dem wir entspringen
Sie töten wieder, immer noch, überall, in Paris, Damaskus, Kabul und wo immer noch. Sie verfolgen, verstümmeln und vertreiben. Sie hetzen Menschen gegen Menschen. Hand in Hand arbeiten sie, Menschen zu entzweihen, gegeneinander auszuspielen. Ihnen Angst vor den Anderen zu machen.
Menschen fliehen zu tausenden und Millionen vor denen, die keine Menschlichkeit mehr kennen. Lasst sie hier Menschlichkeit finden und lasst nicht zu, dass die, vor denen sie fliehen, sie geradewegs in die Arme der hiesigen Menschenfeinde treiben können.
Feinde der Menschlichkeit haben keine Kultur, keine Götter noch Vaterländer oder Muttersprachen. Ob es also Götter sind oder Nationalitäten oder Kulturen, mit denen sie ihre Menschenfeindlichkeit zu rechtfertigen suchen: die sind Vorwand und nur Versuch, ihre wahren Motivationen zu verbergen.
Wenn ihr Angst habt vor denen, die Terror verbreiten: das ist OK. Wir dürfen Angst haben. Müssen es vielleicht sogar. Sie ist menschlich.
Nutzt diese Angst dazu, eure Menschlichkeit zu stärken. Nutzt diese Angst, die Angst derer zu verstehen, die vor den selben Unmenschen fliehen und dafür alles zurück lassen und jede Mühsal und Lebensgefahr auf sich nehmen, um irgendwo anders Menschlichkeit und Solidarität zu finden.
Die Feinde der Menschlichkeit versuchen, Worte zu töten. Und Lieder. Alles, was Menschen zu Gemeinschaft macht. Zusammen finden lässt. Und damit alles, was Menschen zu Menschen macht.
Wir haben Lieder und Gedichte. Für jedes Lied, das sie töten, für jedes Gedicht, auf das sie Bomben werfen, werden wir ein neues Lied singen, ein neues Gedicht sprechen.
Wir müssen zusammen halten. Die Dichter aus aller Welt, die Sängerinnen und Sänger, die Künstler und Künstlerinnen, um den Seelen Nahrung zu geben, Empathie und das Wissen, dass wir alle eins sind und verbunden. Die Menschen aller Kultur, Hautfarbe und Herkunft.
Wir werden dem Hass Liebe entgegen setzen. Möge jeder Akt des Hasses die Liebe nur noch stärker machen. Jeder Akt der Gewalt uns näher zusammen rücken lassen und Seite an Seite stehen lassen. Und jede Unmenschlichkeit mehr Menschen die Notwendigkeit erkennen lassen, jetzt erst recht Menschlichkeit zu zeigen und zu leben.
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Sehr schön geschrieben. Durch und durch wahr. Allerdings eine Wahrheit die nur auf einer idealistischen Grundannahme beruhend Wirklichkeit sein kann. Leider sieht die derzeitige Wirklichkeit ganz anders aus und ich fürchte es finden sich nicht viele Menschen – auch nicht KünstlerInnen – die dichtend, singend, malend den Sturmgewehren der Barbaren gegenübertreten, um sich in der tröstlichen Überzeugung abschlachten zu lassen, dass für sie wieder ein Mensch aufsteht, um die schönen Künste weiterzutragen. Trotzdem: der Idealismus, der Humanismus, die Kunst, das muss und wird alles leben, aber nach vielen schönen und hoffnungsfrohen Jahren, zumindest bei uns in Europa, wird es wohl erst einmal wieder Nacht. Ich jedenfalls kann derzeit nicht anders.. mit Blick auf Islamisten, erstarkender Nazis, extremer Anbetung von Geld und Konsum, fürchterlich schlechter Politiker und dem Beginn einer riesigen Völkerwanderung (das jetzt ist erst der Anfang) sehe ich schwarz. Rabenschwarz.
Zu jeder Bewegung gibt es eine Gegenbewegung. Und Künstler in aller Welt haben schon immer Position bezogen, getröstet, aufgerufen und widerstanden. Ich kann verstehen, dass man in einem ersten Schock glauben mag, dass es nie mehr hell würde, wenn es mal dunkel wird. Aber die Kunst war in der Nacht stets am stärksten. Und half stets durch das Dunkel, bis irgendwann dann doch wieder die Sonne aufging. Seit tausenden von Jahren tut sie das. Und keine Angst: sie hört nicht ausgerechnet jetzt plötzlich damit auf.
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