Samstag, 28. April 2012
Freie Geister – drittes Ohr
Das war für mich eigentlich das Tollste: zum Supermarkt gehen und Nachschub holen – Brötchen, Hörnchen, Milch und harte Drogen (Kekse, Schoki, Zucker und vergleichbare Aufputschmittel) – während im Bragishof Studio die Aufnahmemaschine lief. Normalerweise saß immer ich dahinter. Den Platz hatte nun Ingo Vogelmann , seines Zeichens DJ, Producer und Komponist (und vieles mehr) eingenommen – und ich nur dann etwas zu tun, wenn ich einen Part zu spielen oder zu singen hatte. Der Luxus schlechthin! Nur zu gern überließ ich den „Pilotensessel“ der Aufnahmeleitung dem erfahrenen Fachmann.
Ingo hatte etwas mobiles Equipment mitgebracht, mit ein paar von unseren Maschinchen zusammengesteckt und das Ganze als improvisiertes Cockpit im Proberaum aufgebaut: möglichst nah an uns Musikern wollte er sein. Unser bisheriges – oder darf ich schon sagen: ehemaliges? – Studio wurde flugs zum Lager für haufenweise leere Gitarrenhüllen, Flightcases, überzählige Stative und sonstigen sperrigen Krempel, der für die Produktion überflüssig war.Am ersten Tag bauten wir nur auf und verkabelten. Resultat: fast kein Fußbreit Boden mehr sichtbar in den beengten Räumen! Alles für den Sound: nicht unwesentlich die minutiöse Überprüfung aller elektrischen Verbindungen und Signalwege. Das kostete nochmal einige Stunden Zeit, was sich aber lohnen sollte: Die ganze Aufnahmewoche blieb – wunderbarerweise – frei von jeglichen technischen Problemen oder gar Ausfällen (sieht man von meinem ehrenwerten Gitarrenverstärker Bo ab, einem alten Fender Twin, der des öfteren meinte, durch Brummen, Brizzeln oder anderes geräuschliches Gezicke auf sich aufmerksam machen zu müssen. Aber das erwies sich als verschmerzbar).
10 Mikrofone montierten wir allein am Schlagzeug, die meisten unter (statt, wie sonst, über) den Trommeln. Und die Setliste der Songs, die es aufzunehmen galt, hatten wir noch in der Nacht komplett umgeschmissen und abgeändert: Ingo überzeugte uns davon, zum großen Teil ganz andere Lieder aufzunehmen als wir ursprünglich vorhatten: darunter etliche, die wir noch nie zusammen gespielt hatten – manche waren noch nicht einmal grob durcharrangiert, von denen gab es nur erste Skizzen. Gern verließen wir uns auf Ingos unvoreingenommes, von unseren Interna und bandtypischem „Tunnelblick“ unbeindrucktes Ohr: sein „drittes“, wie er betonte. Wir durften mit dem einzigen Tonmeister der Welt arbeiten, der mehr als zwei Ohren hat! Und soviel sei schon mal verraten: den möchten wir gar nicht mehr hergeben!
Wir nahmen täglich einen Song auf – und steigerten uns im Lauf der dichten, kurzen und intensiven Woche sogar auf zwei pro Tag. Am vorletzten Tag überholten wir uns quasi selber, indem auch die geplante Reprise von Pegasus – eigentlich für den letzten Tag vorgesehen – noch drankam und in einer wunderschönen akustischen Version „in den Kasten“ ging. Gut, danach waren wir groggy. Aber glücklich!
Von Pferd zu Pferd – beflügelt
So glücklich sogar, dass ich – jetzt, Tage nach der Aufnahmewoche – drauf und dran gewesen war, jeden Pups einzeln zu beschreiben… Bis mich so ab der 9. oder 10. Tippseite der Verdacht beschlich, dass das vielleicht doch etwas übertrieben sei. Oder interessiert sich tatsächlich jemand dafür, wann welche Saite gezupft, welcher Schellenkranz gedöngst oder welche Textzeile gehaucht und welche Gitarre wann wo drüber- oder drunterröhrte? Ich versuche einen Überblick zu geben. Vorgenommen hatten wir uns acht Lieder, mit der zusätzlichen Reprise wurden’s dann neun: Mit Pegasus im Vollset begann’s, mit dessen akustischer Light-Version schlossen wir’s ab. Fünf Aufnahmetage lang hatten wir gut zu tun (die eineinhalb Tage für Aufbau und Verkabelung hier gar nicht mitgezählt), lagen aber die ganze Zeit bestens in derselben und hatten zum Schluss sogar noch Luft. Einen halben Tag wurden wir früher fertig als geplant: den letzten Vormittag, der noch für „recording as usual“ vorgesehen gewesen war, durften wir mit ruhigem Gewissen verschlafen. Unsere Körper dankten es uns mit Überleben ohne sichtbare Spuren der doch sehr intensiven Woche.
Nur drei der aufgenommenen Lieder hatten bereits Bühnenluft geschnuppert – und das auch nur, wenn man bei einem das Lagerfeuer mitzählt, an dem es letzten Herbst erklang (unverstärkt natürlich), und die diversen Änderungen, die das Lied seitdem durchlief, ignoriert. Zwei weitere Lieder hatten wir schon mal im Proberaum angespielt – doch das eine, das wir dabei arrangiert hatten, nahmen wir für die Aufnahme noch einmal komplett auseinander. Drei weitere Songs – einer von Karan, zwei von mir – sind so neu, dass von denen nur die Ideenskizzen vorlagen (FAWM: if you know what this means).
Bei früheren Aufnahmen hatten wir uns immer an eine recht starre Arbeitsreihenfolge gehalten: Zuerst wurde das Schlagzeug eingespielt, danach Bass oder Gitarre/n, zu diesem Grundgerüst kam eventüll noch eine Flöte dazu, dann erst der Gesang oder die Gesänge – und ganz am Schluss vielleicht noch ein paar Fills, Percussion oder Verzierungen.
Von diesem Konzept brachte uns Ingo sofort vollständig ab: Er nahm immer das Instrument als erstes auf, das dem Song – oder der Songidee – einen bestimmten Charakter verlieh; und dann meistens noch ein ergänzendes, zuweilen auch gleich schon die Hauptstimme des Gesangs – erst dann durfte Sven sein Schlagzeug drunterkesseln… Diese Reihenfolge von Song zu Song zu variieren, kam uns rasch sehr „singvøgelig“ vor – schließlich richtet sich bei uns ja auch sonst alles von Lied zu Lied neu aus (siehe unsere häufigen Instrumentenwechsel on stage – und ich weiß nicht, wie viele Bands es gibt, die schon mal wegen eines einzelnen Songs eigens ein bestimmtes Instrument anschafften. We did).
Alle Neune
Es gibt auch sonst ein paar Neuerungen. Vom Klang will ich gar nicht reden: Die Singvøgel werden anders klingen als gewohnt – genau genommen haben wir nie etwas anderes versucht (als anders zu klingen als jeweils davor)… Vielleicht tritt unter Ingo Vogelmanns musikalischen Einfluss dieser Aspekt deutlicher hervor als bislang. Die stilistische Bandbreite, schon immer eins unserer Merkmale, ist spätestens jetzt unüberhörbar. Apropos jetzt: So wird die Platte heißen. Die neue.
Da wir diesmal Mixing und Mastering komplett außer Haus machen lassen – da, wo diese Arbeiten hingehören: spätestens für Mastering haben wir weder ausreichendes Equipment noch Erfahrung – werden diesmal keine Zwischenmixe vorveröffentlicht.
Ingo ist derzeit noch mit Vorabmischungen beschäftigt – gemeinsam besprechen wir Zwischenergebnisse, an denen er dann peu a peu weiterfeilen wird bis zum Finale. Dafür ist gut Zeit eingeplant: nicht nur aus Terminkalendergründen, sondern auch, damit sich die Ohren beruhigen und alle Beteiligten immer neu Abstand finden können zum Gehörten. Es muss sich sozusagen „setzen“. Diesen Luxus leisteten wir uns noch nie – Zeit wird’s.
Welche Lieder sind die Auserwählten? Fans dürften Pegasus kennen und Renn, Elfe, renn – mit einigem Glück erkennt ihr sie auf Platte sogar wieder, hihi! Wer unser alljährliches Treiben bei FAWM verfolgt, dem sagen auch die restlichen Titel was – aber diese Fans wissen aus Erfahrung, dass zwischen einer eilig hingebrezelten Werkstatt-Skizze und der Bühnenversion eines fertigen Singvøgel-Songs Welten liegen können – für jetzt gilt Entsprechendes.
Was kann ich versprechen? Überraschungen – in größerem Ausmaß als sonst, und ich meine, auch in höherer Qualität. Aller Anfang ist Meer hat uns schon direkt nach der Aufnahme selbst zu Tränen gerührt – und blieb nicht der einzige feuchte Moment. Epischer Höhepunkt ist sicher Dea Dia – hier greift Karan in die Klavier- und Ingo in die Keyboardtasten. Doch auch am anderen musikalischen Eck klingt manches neu. Selbst wer mir alles zutrauen mag, traut mir womöglich Auch nicht zu: ich schrieb’s und sing’s aber trotzdem. Noch nicht viel sagen lässt sich über den Rest vom Fest. Krähe im Kopf ist der Song, dessen Vorversion wir schon mal an einem Lagerfeuer schrammelten, aber der sich verändert hat. (Meistens) Auf der Flucht spielt genau so lange, wie das gut geht vom Thema her (wenn ihr’s hört, werdet ihr verstehen, was ich meine), und der Titel eines anderen Liedes ist sein Programm: Der Wahnsinn allein.
Zu guter Jetzt
Wann ihr das alles anhören könnt, ist derzeit noch nicht genau verkündbar: Für ein paar Kleinigkeiten wie Plattenpressung, Cover-Artwork, Druck usw. fehlt uns einstweilen noch das Geld. Wir überlegen noch, wie wir das zusammen bekommen, gut möglich, dass wir das über eine Form von „Crowdsourcing“ versuchen werden, also z.B. über Vorbestellungen und/oder eine Plattform, über die man solche Sammlungen durchführen kann. Da gibt es ja ein paar, inzwischen. Wir halten euch auf jeden Fall auf dem Laufenden übers Laufende – selbst wenn das nur Neuigkeiten sind. Verfolgt uns auf den üblichen Kanälen, hier im Weblog und von Face bis Book… Auf die Platte sind wir ebenso gespannt wie ihr.
dm
P.S.: Ingo hat auch ein Blog und hat dort selbst auch was -> über unsere gemeinsame Woche geschrieben.
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Die Schilderungen machen Appetit auf Konkretes ! 🙂
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