1. September 2008, um 14:19 Uhr
Pressemitteilung des deutschen Kulturrats
Deutscher Kulturrat fordert Ministerpräsidenten auf, ihrer Verantwortung für die Künstler gerecht zu werden
Berlin, den 09.09.2008. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, ist bestürzt über die Initiative der Länder Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein, die Künstlersozialversicherung abschaffen zu wollen.
Klammheimlich, versteckt in einer Empfehlung (Bundesratsdrucksache 558/1/08 vom 08.09.2008) zum „žEntwurf des Dritten Gesetzes zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere der mittelständischen Wirtschaft (Drittes Mittelstandsentlastungsgesetz)“ (Bundesratsdrucksache 558/08) haben der federführende Wirtschaftsausschuss, der Ausschuss für Frauen und Jugend, der Ausschuss für Innere Angelegenheiten sowie der Finanzausschuss des Bundesrates mit den Stimmen der genannten Länder beschlossen:
„žDer Bundesrat fordert, dass die Künstlersozialversicherung abgeschafft oder zumindest unternehmerfreundlich reformiert wird.“
Gegen die Empfehlung haben sich folgende Länder gewandt: Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen. Enthalten haben sich: Bayern, Berlin und das Saarland.
Die Abstimmung über die geforderte Abschaffung der Künstlersozialversicherung soll bereits am 19.09.2008 im Bundesrat stattfinden. Der Deutsche Kulturrat fordert die Ministerpräsidenten der Länder auf, bei der Bundesratssitzung ihre Kulturverantwortung ernst zu nehmen und der Empfehlung nicht zu zustimmen.
Die Künstlersozialversicherung ist eine kultur- und sozialpolitische Errungenschaft. Sie abzuschaffen würde bedeuten, dass die Mehrzahl der Künstler weder eine Kranken- noch eine Pflege- oder Rentenversicherung haben würden. Bei einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 12.616 Euro ist eine private Absicherung nicht möglich.
Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, sagte: „žDie von Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein betriebene Abschaffung der Künstlersozialversicherung ist an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten. Weil vor einem Jahr der Deutsche Bundestag die Künstlersozialversicherung erfolgreich reformiert hat und jetzt endlich alle schon seit 20 Jahren abgabepflichtigen Unternehmen und auch öffentlichen Körperschaften zur Zahlung herangezogen werden, wird von einem zu großen bürokratischen Aufwand gesprochen. In Wirklichkeit geht es den sieben Bundesländern darum, die abgabepflichtigen Unternehmen und öffentlichen Körperschaften auf Kosten der Künstler von ihren Sozialversicherungspflichten zu befreien. Die Künstler sollten sich das nicht gefallen lassen!“
AKTUELL:
Stellungnahmen bzw. Presseerklärungen von VdÜ, VS und Verdi
(via Isa)
Grade aus Irland zurück und schon einen weiteren deutlichen Unterschied zwischen Deutschland und anderswo gefunden, nach den Kindern nun die Kunst: während anderswo Künstler ins Land geworben werden mit der Aussicht, nie mehr mit sowas wie Steuern behelligt zu werden, weil man ihren kulturellen Beitrag für die Gesellschaft als so wertvoll erachtet, dass er jegliche Schuld gegenüber dem Gemeinwohl völlig deckt, wird hier aus einer notwendigen Gesundheitsförderung eines Berufsstandes, deren großer Teil unter allen Durchschnittseinkommen liegt, offensichtlich ein abzuschaffendes „Privileg“ einer faulen Bande von unnützen Träumern und Faulenzern gemacht. Passt in die allgemeine Tendenz der Verunglimpfung von Menschengruppen in diesem Land als „Schmarotzer“ oder „Parasiten“.
Armes Deutschland, „Land der Dichter und Denker“, dass ich nicht lache.
Boah! Die hamse ja wohl nich‘ alle?
Auf den bisherigen Konditionen der KSK gründet meine bürgerliche Existenz…
Sollen wir auf Wegelagerer umsatteln oder was?
Ich habe mich oft genug mit liberalen Bloggern über dieses Thema unterhalten (weil es ja auch bei B.L.O.G., wo ich einige Monate mitgebloggt habe, ein Thema war), um die dahinter stehende Weltanschauung zu kennen.
Ein Künstler ist ein Dienstleister – wie ein Pizzabäcker oder ein Klempner. Aus der Sicht eines Unternehmers (und Wirtschaftsliberale sehen alles aus der Sicht eines Unternehmers) ist es nicht einzusehen, wieso ein Kunstdienstleister anders behandelt werden soll, als jeden beliebigen Handwerker. Nun sind selbstständige Handwerker meistens in der Lage, sich selbst privat zu versichern, während es bei Künstlern dazu schlicht nicht reicht. An diesem Punkt setzt die Ideologie ein und meine Verständnis für die Wirtschaftsliberalen aus: Selbstständige Kleinunternehmer, die Produkte anbieten, die sie nicht in dem Maße und den Preise verkaufen können, dass sie davon anständig leben und sich versichern können, sollten ihre Selbständigkeit besser an den Nagel hängen und sich einen Job im Büro oder in der Fabrik suchen.
Dieses betriebswirtschaftliche Denken findet man nicht nur in liberalen Kreisen, sondern auch bei den Anhängern anderer politischer Richtungen. Manchmal noch unangehmer, denn nicht-liberale neigen zumindest in Deutschland dazu, bürokratieverliebt zu sein und wenig Verständnis für Individualisten zu haben – und vor allem mehr zu heucheln, als knallharte „Neoliberale“. (Die Agenda-SPD sehe ich als Wirtschaftsliberale, die anderen und sich vormachen, sie seien Sozialdemokraten – allein die Vorliebe für „Regelungsbedarf“ ist bei ihnen noch echt „sozi“.) Ich habe manchmal den häßlichen Verdacht, dass Künstler, die nicht direkt von finanzstarken Unternehmen abhängig sind (wie Musiker mit Sony-BMG-Vertrag) oder wenigsten durch Staatsaufträge gebunden sind, als Gefahrenpotenzial gesehen werden.
„Ander Länder“ – nun, hängt davon ab: die USA werden ja ausdrücklich aus Vorbild genannt, ebenso Großbritannien. Irland ist mit seiner Schriftstellerförderung, die Kulturschaffenden praktisch Steuerfreiheit gewährt, meines Wissens eher die Ausnahme. (Die Schriftstellenförderung
ist die einzige Kulturförderung, über die ich Näheres weiß – weil ein mir persönlich bekannter Schriftsteller nach Irland ausgewandert ist. Leider wäre ich nicht in der Lage, gute Romane auf englisch zu verzapfen – ich kann’s nicht mal auf Deutsch – so dass das nicht für mich infrage käme. Es ist aber kein Zufall, dass so viele aus den USA oder Großbritannien stammende Schriftsteller heute in Irland leben und arbeiten.)
Nö, es mal mit „ehrlicher Arbeit“ versuchen. Das war der Standardsspruch, den mein Vater meinen Bruder immer vorhielt, wenn er mit seiner Musiker-Karriere (oder seinem Job als Tontechniker) Probleme hatte. So lange, bis mein Bruder den Kontakt mit ihm abbrach, und zwar so weit, dass er nicht mal zu Weihnachten „nach hause“ kam. (Kann mein Vater ruhig lesen, wenn er dieses Blog finden sollte.)
Das ist ein Aspekt, der zu den oben genannten wirtschaftlichen Aspekten und der Angst der Entscheider vor der freien Kunst hinzu kommt … denn Denkstrukturen wie bei meiner Vater sind sehr weit verbreitet. (Sie beruhen eher auf Sicherheitsdenken – freier Künstler sein ist gefährlich, und wer in der Gefahr umkommt, hat es ja so gewollt – als auf Kulturferne.)
ja in zeiten der krise müssen wohl alle sparen….