SongTalk #1: Der kreative Prozess 1


26. April, um 9:00 Uhr

Das hier habe ich in meinem Weblog schon veröffentlicht, aber hier paßt es auch hin, deshalb copy/paste ich’s mal her:

„A song ist a magical marriage between a lyric and a melody. It is not a poem. It is not music. It is in this gray area of synthesis between language, rhythm and sound that some of the most acute of all sensors of human emotion lie.“

(Jimmy Webb: „Tunesmith“)

Obiges Buch lese ich gerade mit großem Genuß. Zwar sind Kontext und Sprache amerikanisch, aber einige Grundsätzlichkeiten lassen sich übertragen.

Ich habe in den letzten Wochen einiges geschrieben und komponiert und trotzdem kann ich den kreativen Prozess des Liederschreibens kaum erklären. Er vereint höchste Konzentration mit freiester schwebender Aufmerksamkeit. Oft beginnt alles mit einer Zeile und ich habe keine Ahnung, wohin es führt. Gefährlich wäre es dann, sich zu verrennen oder zu verplanen. Ebenso gefährlich, sich von jedem Einfall verleiten zu lassen, ihm nachzugehen und dabei das Ganze aus den Augen zu verlieren. Es gilt, gleichzeitig den Überblick zu behalten und dem Verlauf zu folgen – eine seltsam gespaltene und gleichzeitig umfassende Wahrnehmung, so als verfügte ich über die rundumschauenden Facettenaugen eines Insekts und parallel dazu über den enggeführten, aber detailgenauen Blick durch ein Mikroskop.

Wenn die Konzentration nachläßt, habe ich zu erspüren, ob ich sie neu fokussieren und mich wieder sammeln muß (was oft richtig anstrengend ist), oder ob ich mich festgefahren habe und tatsächlich eine Pause brauche. Aber wenn der Punkt der Zerstreuung überwunden ist, setzt oft ein fast tranceartiger Zustand ein. Auf Ablenkungen von außen reagiere ich dann eigenartigerweise nicht etwa unwirsch, sondern wische sie mit einer freundlich-abwesenden Gelassenheit vom Tisch und verschaffe mir wieder Ungestörtheit.

Wobei diese durchaus relativ ist: ich warte nicht, bis mich die Muse küßt. Liedermachen ist auch ein Handwerk, und ich brauche dazu weder einen festgelegten Arbeitsplatz noch eine bestimmte Menge Zeit. Manches geht schnell, anderes braucht länger. Wichtig ist, einfach anzufangen.

Ich bin immer wieder erstaunt darüber, daß ein Lied, einmal vollendet, sofort ein Eigenleben gewinnt, eine Art Persönlichkeit entwickelt, in mir selbst Gefühle auslöst, die mir beim Schreiben völlig unbewußt waren.

„Lieder sind viel mehr als Lieder sind“. Als ich das damals schrieb, wußte ich noch nicht wirklich, wie wahr das ist. Jetzt beginne ich es zu ahnen…

Zum Posting im Karan-Weblog gab es auch schon Kommentare: hier.


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Ein Gedanke zu “SongTalk #1: Der kreative Prozess

  • Eibensang

    Bei mir kann ich deutlich zwei Phasen des Prozesses unterscheiden: das Handwerkliche folgt dem Schöpferischen – zumeist zwar auf dem Fuße, jedoch bringe ich mit Handwerk alleine keinen guten Text zustande, weil dem dann mindestens die Idee, schlimmstenfalls aber die „Mindesttiefe“ 😉 fehlt. Natürlich gilt auch umgekehrt, daß mangelndes Handwerk eine brauchbare Idee verhungern läßt oder versaut.

    Im schöpferischen Moment grab ich gern so tief wie möglich, d.h. ich spüre nach, ob’s nicht noch auf was ganz anderes, auf innerlich Wesentlicheres oder Ursächlicheres hinauslaufen soll… Und wenn ich solchen Eindruck bekomme, aber im „Tiefriechen“ unterbrochen werde, dann bleiben manch angefangene Zeilen bei mir u.U. länger liegen (da ich, wenn ich mich wieder dransetze, meinen „Trancezustand“ auf genau das Level bringen muß, das ich beim Beginnen der betreffenden Textidee hatte, sowie auch auf deren Richtung – sonst gibt’s stilistische Nahtstellen).

    Was aber die wirkliche Zeit braucht, ist bei mir die handwerkliche Bearbeitung: das Feilen an jedem Wort und Satz, bis ich die jeweilige Fassung nicht mehr verbessern kann. Ist diese Phase aber erstmal abgeschlossen, „gehört“ mir der Text nicht mehr (außer im juristisch urheberrechtlichen Sinn:-))) – es ist mir dann unmöglich, ihn nachträglich noch abzuändern (selbst wenn „Irrtümer“ drin sind bzw. die Textaussage nicht – oder nicht mehr – meiner persönlichen „Meinung“ und Anschauung entspricht)!

    Die „Textidee“ wiederum ist bei mir fast nie eine intellektuelle bzw. allzu bewußte – ich setze mich nicht hin und schreibe „etwas zum Thema XY“. Bewußt gehe ich nur vom Wortklang aus – insofern bin ich beim Texten eher Musiker (selbst wenn es sich nicht um einen Songtext handelt:-)))))!

    Oft beginnt es mit einer Vision, einer mit innerem Auge gesehenen Szene (streiflichtartig: ohne zwangsläufigen Inhaltskontext), die ich weniger als solche beschreibe denn vielmehr als Hintergrund hernehme für meine Zeilen (natürlich gilt es, dadurch das Bild spürbar zu machen)… Dabei läßt sich das Textthema selbst dann noch in diese oder jene Richtung lenken (oder will wie von selbst auf etwas bestimmtes hinaus, was ich erst dadurch erfahre, indem ich möglichst genau beschreibe, was ich da innerlich aufspüre).

    Bei Songtexten stellt sich ein (obzwar erstmal meist vager) musikalischer Duktus schon während der ersten Zeilen ein: was wohl an der Metrik liegt und zuweilen an der natürlichen Satzmelodie.

    Ungern betexte ich meine eigenen, strukturell bereits rohbaufertigen Musikideen – da brauch ich oft ewig, in die dann schon recht enge Melodie- und Metrikvorgabe klangvolle Worte zu pressen, die dann ja auch noch einen knuffigen Sinn ergeben sollten („Feuer für den Stamm“ war so ein hartnäckiger Kandidat. Monatelang spielte ich die Riff-Folge, bis ich endlich die Refrainzeile hatte!)…

    Bei Prosa isses fast umgekehrt: da fällt’s mir viel leichter, wenn eine Themenvorgabe schon feststeht (der ich mich dann aus dieser oder jener Szenenperspektive annähern kann) – im völlig freien Fall verlier ich mich sonst leicht bzw. bringe keine Struktur zustande.

    Generell gilt, daß ich oft ein imaginäres Publikum visioniere (meist Einzelne – zuweilen fiktive „Mischungen“ mir bekannter Menschen) beim Schreiben. Nicht absichtlich – das stellt sich von selbst ein.

    Lust aber bereitet mir beides: das tief in mich Hineinspüren (um die ersten Zeilen zu „holen“) wie das Rundfeilen jedes Textdetails – eher von Letzterem hängt m.E. die Qualität eines Textes ab.

    Erst wenn man ihn nirgends und gar nicht mehr verbessern kann, ist er (vielleicht;-) gut! Solang noch irgendwas dran stört, kann er nicht gut genug sein. Schließlich soll er ja möglichst lange halten, und noch Freude machen und stimmen, wenn er zum x-ten Mal über die Zunge geht, aus der Kehle schallt.